Bernadette Näger, Rena Liebald, Ulrich Schmidt-Denter und Wolfgang Beelmann
Gruppeninterventionsprogramm für Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien
Universität zu Köln 2000

Gruppe

Definition

Ein Gruppeninterventionsprogramm ist ein sekundär-präventives und therapeutisches Angebot an Kinder im Trennungs- und Scheidungsprozess. Es beinhaltet die kenntnisreiche und planvolle Anwendung von Techniken aus dem psychologisch-pädagogischen Bereich. Eine Qualifizierung der GruppenleiterInnen hinsichtlich psychologisch-pädagogischer Methoden, Scheidungsberatung, kindlicher Entwicklung und scheidungsspezifischer kindlicher Reaktionen wird vorausgesetzt.

Ziel der Intervention ist es, Kinder im Scheidungsprozess zu unterstützen, damit sie im kognitiven, aktionalen und emotionalen Bereich die Reorganisation des familialen Systems besser bewältigen. Im Idealfall ist diese Arbeit mit den Kindern ein Baustein von Trennungs- und Scheidungsberatung, die das ganze Familiensystem im Blick hat, aber an unterschiedlichen Ebenen ansetzt (Familienberatung, Familientherapie, Elterngruppen, Mediation etc.).

Das Gruppeninterventionsprogramm stellt eine ideale, praxisrelevante Umsetzung der Ergebnisse der Langzeitstudie von Schmidt-Denter und Beelmann (1995) "Familiäre Beziehungen nach Trennung und Scheidung: Veränderungsprozesse bei Müttern, Vätern und Kindern" dar. Der Studie zufolge wies ein Drittel der untersuchten Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien auch 40 Monate nach Beginn der Studie noch ein hohes Maß an Verhaltensauffälligkeiten auf.

Im neuen Kindschaftsrecht von 1998 mit seinem erklärten Ziel, die Rechtsposition der Kinder zu stärken, wird den neuen Erkenntnissen aus der Forschung Rechnung getragen. Die Neufassung von � 17 (2) KJHG beinhaltet die Aufforderung, Kinder an der Entwicklung eines Konzepts zur Wahrnehmung der elterlichen Sorge im Falle von Trennung und Scheidung zu beteiligen. � 28 KJHG sieht explizit eine Unterstützung von Kindern und Jugendlichen nach Trennung und Scheidung vor und � 27 KJHG gewährt Eltern Hilfe zur Erziehung, wenn die Hilfe für die Entwicklung des Kindes geeignet und notwendig ist. Aus dieser Gesetzesgrundlage ergibt sich eine Fokusverschiebung hin zu kindzentrierten Angeboten.

In Deutschland sind in den letzten Jahren zwei Programme entwickelt worden (Jaede, 1996 und Fthenakis, 1995), die Kindern bei Trennung und Scheidung durch aktive Anteilnahme unterstützen. Diese beiden Programme unterscheiden sich lediglich in der Anwendung unterschiedlicher pädagogischer Methoden: die Struktur des Gesamtaufbaus und der einzelnen Stunden, wie weiter unten aufgeführt ist, weisen keine Unterschiede auf.

Gruppenzusammensetzung und Dauer der Gruppe

Das themenzentrierte Gruppenangebot für Trennungs- und Scheidungskinder ist zeitlich befristet auf ca. 16 Sitzungen à 90 Minuten in wöchentlichem Abstand. Zielgruppe sind Kinder zwischen 6 und 12 Jahren. Eingeschlossen sind Vor- und Nachgespräche mit den Eltern und teilnehmenden Kindern, sowie zwei Elternabende.

Erfahrungsgemäß hat sich eine Gruppe von ca. 6 Kindern bewährt, die durch zwei GruppenleiterInnen geführt wird. Angestrebt wird möglichst eine gleiche Verteilung von Mädchen und Jungen, sowie eine möglichst heterogene Zusammensetzung hinsichtlich der Trennungsdauer. Der schrittweise angeregte Austausch der Kinder untereinander ermöglicht in diesem Setting einen optimalen Lerneffekt. Dies macht das Gruppenangebot einer Einzeltherapie überlegen. Weiterhin ist aus entwicklungspsychologischer Sicht eine Gruppe deshalb sinnvoll, da gerade in diesem Alter Kinder durch Interaktionen in der Gleichaltrigengruppe Selbsterfahrung und Selbstbestätigung erhalten und in ihren Autonomietendenzen unterstützt werden.

Ziele der Gruppenintervention

Ausgehend von Problemen und Anforderungen, die Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien zu bewältigen haben, lassen sich folgende zentralen Ziele der Gruppenintervention ableiten:

Struktur und Aufbau des Gruppeninterventionsprogramms

Der Gesamtaufbau des Projekts hat in Anlehnung an das Gruppentraining mit Kindern aus Trennungs- und Scheidungsfamilien von Jaede et al. (1996) folgenden Ablauf:

Weiterhin ist jede einzelne Sitzung in ihrem Aufbau strukturiert (Begrüßung, Einführungs-spiel, themenzentriertes Arbeiten, Pause, themenzentriertes Arbeiten, Abschlussspiel, Verabschiedung), um einen rhythmischen Wechsel von Spannung und Entspannung zu gewährleisten. Aufgabe der GruppenleiterInnen ist es, den Kindern den emotionalen Freiraum zu gewähren, um es ihnen zu ermöglichen ihre "Not" auszudrücken, zu bearbeiten und alternative Verhaltensweisen aufzuzeigen.

In begleitenden Elternabenden werden den Eltern Kenntnisse über entwicklungsspezifische Bedürfnisse von Kindern und ihre Reaktion auf Trennung und Scheidung vermittelt. Sie werden für die Sichtweise und die Bedürfnisse ihrer Kinder sensibilisiert und ihre Kompetenz im Umgang damit gestärkt. Der professionell angeleitete Austausch der Eltern untereinander ermöglicht ihnen, eigene Sorgen und Probleme anzusprechen und von den Erfahrungen anderer Eltern zu profitieren. Dabei können weitere Hilfsangebote, die bei den Eltern ansetzen, aufgezeigt und Hemmschwellen für eine Inanspruchnahme abgebaut werden. Aussagen der Kinder werden gemäß dem Schweigegebot der Gruppe nicht nach außen weitergegeben.

Evaluation

Von April 1999 bis Februar 2000 wurden zwei Gruppen durch eine Evaluation in Form einer Diplomarbeit von der Universität Köln (Lehrstuhl für Erziehungs- und Entwicklungspsychologie) begleitet.

Die Durchführung der Gruppen fand in der Praxisgemeinschaft Ehrenfeld in Köln statt, die ihre Räume und Ausstattung dem Projekt kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Gruppenleiterinnen waren Fr. Dipl.-Psych. und Familienmediatorin Bernadette Näger, die die Konzeption des Programms in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Freiburger Projekts (Jaede et al.) entwickelt hat, sowie Fr. Dipl-Psych. Rena Liebald.

Das Projekt hatte sich die Aufgabe gestellt, unter Bezugnahme der Erkenntnisse der neueren Scheidungsforschung (Schmidt-Denter & Beelmann, 1995) die Wirksamkeit eines Gruppenangebots für 6-12jährige von der Scheidung ihrer Eltern betroffenen Kinder mit einem Prä-, Posttest Kontrollgruppendesign zu untersuchen. Ziel dieser Effektivitätsstudie war es, herauszufinden, ob und inwieweit die in Deutschland entwickelten strukturierten Gruppeninterventionsprogramme (Fthenakis, 1995; Jaede, 1996) in der Lage sind, infolge von Trennung und Scheidung auftretende Verhaltensauffälligleiten zu vermindern und die Beziehungsrelationen der Kinder zu den Familienangehörigen zu stabilisieren. Anschließend wurde mit einer Korrelationsstudie der Frage nachgegangen, ob es Faktoren gibt und wenn ja welche, die unterstützend oder hemmend Einfluss auf die Wirksamkeit des Programms nehmen.

Die Datenerhebung wurde jeweils vor Beginn der Gruppendurchführung und direkt im Anschluss mit Fragebögen für Trennungs- und Scheidungsfamilien in zwei Ausführungen (Prä- resp. Postfragebogen), der Marburger Verhaltensliste (MVL) und des Family Relations Tests (FRT) durchgeführt. Die Auswertung der Daten in Bezug auf den Kontrollgruppenvergleich und den Vergleich der beiden Gruppen erfolgte unter Anwendung des Allgemeinen linearen Modells (ALM) mit einer zweifaktoriellen Varianzanalyse sowie anschließender Korrelationsanalyse mit dem statistischen Programm SPSS (Statistical Package for the Social Sciences) Version 10.0.

Die vorliegenden Ergebnisse der MVL unterstützen die Befunde früherer Evaluationsstudien in Deutschland (Schmitz & Schulte, 1993; Lütkenhaus, 1996): Ein Gruppeninterventionsprogramm stellt eine sinnvolle und effektive Maßnahme dar, Kinder im Scheidungsprozess zu unterstützen. Nach der Teilnahme an dem Programm glichen sich die Ergebnisse der Kinder des Gruppeninterventionsprogramms in dieser Studie hinsichtlich auffälligen Verhaltens den Werten der unbehandelten Kontrollgruppe an oder unterschritten sie sogar in Bezug auf ein unrealistisches Selbstkonzept.

Die Korrelationsstudie weist darauf hin, dass vor allem die Struktur und die thematischen Inhalte der entwickelten Programme wesentlich zur Effektivität des Programms beitrugen und hohes unangepasstes Sozialverhalten der Kinder beim Vortest kein Ausschlusskriterium für eine Teilnahme darstellt. Daraus lässt sich folgern, dass es sich bei dem Gruppeninterventionsprogramm nicht um ein reines Präventionsprogramm handelt, da oft aggressives Verhalten ein Grund für die Eltern war, diese Maßnahme in Anspruch zu nehmen. Somit ist beiden Studien zuzustimmen, dass sich durch die Teilnahme an einem Gruppeninterventionsprogramm Verhaltensauffälligkeiten infolge von Trennung und Scheidung vermindern lassen. Vor allem in Bezug auf die Kontaktangst und ein unrealistisches Selbstkonzept konnte die Studie bedeutsame Verbesserungen nachweisen. Die Ergebnisse des FRT waren weniger eindeutig und bedürfen einer näheren Abklärung unter qualitativen Gesichtspunkten.

Literatur

Fthenakis, W.E., u.a. (1995). Gruppeninterventionsprogramm für Kinder mit getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern. Weinheim: Beltz.

Jaede, W. et. al. (1994). Das Freiburger Gruppeninterventionsprogramm für Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie.

Jaede, W., Wolf, J. & Zeller-König, B. (1995). Gruppentraining mit Kindern aus Trennungs- und Scheidungsfamilien. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Lütkenhaus, P., Hasler-Kufner, P. & Plaum, E. (1996). Evaluation eines präventiven Gruppenangebots für Scheidungskinder. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 45, 238-244.

Schmidt-Denter, U. & Beelmann, W. (1995). Familiäre Beziehungen nach Trennung und Scheidung: Veränderungsprozesse bei Müttern, Vätern und Kindern. Köln: Psychologisches Institut der Universität.

Schmitz, H. & Schulte, S. (1993). Gruppenintervention für Kinder aus Trennungsfamilien. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität zu Köln.

 

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